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Der Gewalt begegnen

Datum:
Veröffentlicht: 28.10.10
Von:
Volker Poerschke

Diskussion über „Jugend und Gewalt“ in St. Elisabeth

Grundlose Gewalt, exzessive Brutalität, Schläge gegen wehrlose Menschen – die Bilder gehen durch die Medien. Ob in der Münchner U-Bahn oder am helllichten Tag auf offener Straße. Die Täter sind oft Jugendliche und Heranwachsende. Warum? Und was ist zu tun?

Bamberg (vpo) - Grundlose Gewalt, exzessive Brutalität, Schläge gegen wehrlose Menschen – die Bilder gehen durch die Medien. Ob in der Münchner U-Bahn oder am helllichten Tag auf offener Straße. Die Täter sind oft Jugendliche und Heranwachsende. Warum? Und was ist zu tun? Unter der Überschrift „Jugend und Gewalt“ hatten die Arbeitsgemeinschaft der katholischen Gefängnisseelsorge im Erzbistum Bamberg und das Erzbischöfliche Jugendamt vergangenen Freitag (22.10.) zu einem Abend in St. Elisabeth im Sand eingeladen, um über diese Fragen zu diskutieren. Ein Ergebnis des Abends fasste Diözesanjugendpfarrer Detlef Pötzl, Leiter des Erzbischöflichen Jugendamtes Bamberg so zusammen: "Wie man das Problem der Jugendgewalt bewertet, hängt davon ab, aus welchem Blickwinkel man es betrachtet".

Der Kriminologe Professor Dr. Franz Streng von der Universität Erlangen-Nürnberg etwa, meint, dass das Problem Jugendgewalt – ohne es verharmlosen zu wollen - zu hoch gekocht wird. „Die Gewaltstatistik ist über die vergangenen Jahrzehnte stetig rückläufig“, sagt der 1. Vorsitzende der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, Regionalgruppe Nordbayern. Seine These: „Wir haben nicht mehr Gewalt unter Jugendlichen als früher, wir leben in einer gewaltsensiblen Zeit.“ Gewalttaten würden eher zur Anzeige gebracht als früher, außerdem lebten die Menschen heute in einer Zeit der Medien. Und für die gelte: Gewalt verkauft sich gut. „Wir fallen einer perspektivischen Verzerrung zum Opfer“, meint der Wissenschaftler Franz Streng. Polizeihauptkommissar Klaus Busch, Jugendsachbearbeiter bei der Polizeiinspektion Bamberg Stadt und Verbindungsbeamter für die Schulen, sieht dies anders. „Insbesondere die gefährliche Körperverletzung und Mobbing haben unter Jugendlichen nach meinen Erfahrungen deutlich zugenommen.“ Vor allem die Qualität der Gewalt habe sich verändert. Eins gegen eins, Faust auf Faust – das war einmal. „Heute heißt es oft fünf gegen einen und immer öfter sind auch Waffen im Spiel“, so Busch. Eine Beobachtung, die auch der Bamberger Staatsanwalt Andre Liebischer macht. So habe er Fälle vor Gericht erlebt, bei denen Jugendliche bereits mit dem Ziel, jemanden zu verletzen und einem Baseballschläger abends das Haus verlassen haben.

Über die Gründe für Jugendgewalt waren sich alle Anwesenden einig: Bildungsdefizite, Perspektivlosigkeit und mangelnde Werteorientierung in der Gesellschaft. „Jede Gesellschaft hat die Kriminellen, die sie verdient“, zitierte Professor Streng den französischen Anthropologen Alexandre Lacassagne (1843-1924). Der Künstler Manfred Scharpf, der mit jugendlichen Straftätern in der JVA Ebrach intensiv an Kunstprojekten gearbeitet hat, mit Gewalttätern gesprochen und ihnen zugehört hat ist sich sicher: "Keiner von denen ist von Grund auf böse oder schlecht. Die Gesellschaft hat ihnen zuerst Gewalt angetan und sie zu Straftätern gemacht". Hauptkommissar Busch charakterisiert die Gewalt, die er täglich erlebt mit einem Wort: Rücksichtslosigkeit. „Und die wird den Jugendlichen heute vorgelebt.“ Pfarrer Hans Lyer, Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Ebrach, meint: „Die Frage, nimmt Gewalt zu oder ab, ist nicht das Thema, sondern: Wie können wir ihr begegnen?“. Härtere Strafen, schnellere Prozesse, früher Wegsperren? „In Wahlkampfzeiten wird so etwas schnell gefordert“, sagt Staatsanwalt Liebischer. Er plädiere auch dafür, dass Jugendliche nicht erst ein Jahr auf ihren Prozess warten sollten. So werde auch in Bamberg das „vereinfachte Strafverfahren“ erprobt. Dabei folgt die Strafe der Tat sozusagen auf dem Fuße – soweit die Sachlage das zulässt. Aber er sei überzeugt, dass die Instrumente, die der Justiz dabei zur Verfügung stehen – abgestufte Strafen von Sozialstunden über Kurzarreste bis hin zur Freiheitsstrafe – vollkommen ausreichten. „Eine höhere Strafe hält keinen Jugendlichen von einer Straftat ab“, ist Liebischer überzeugt. Bildungschancen und Perspektiven eröffnen, Grenzen zeigen und selbst Vorbild sein, dass seien die richtigen Mittel zur Prävention von Jugendgewalt, da waren sich alle einig. „Wir haben heute Abend den Anfang eines Anfangs gemacht“, meint Pfarrer Lyer und Detlef Pötzl betonte, nun sei es wichtig, weiter im Gespräch zu bleiben.